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Kreis Düren

Mit Mut zur Modell-Region Wasserstoff

Professor Wolfgang Marquardt, Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich, über die guten Voraussetzungen des Kreises Düren im Strukturwandel.

Die Zukunft liegt auch in der Forschung

Der Kreis Düren steht vor enormen Veränderungen, die sich hauptsächlich durch den Strukturwandel ergeben. Noch bis 2030 wird Braunkohle abgebaggert. Danach entsteht im Kreis eine ganz neue Landschaft mit drei großen Seen. Aber schon jetzt wird daran gearbeitet, wie sich der Kreis Düren fit für die Zukunft machen kann. Ein großes Thema dabei: Wasserstoff. Landrat Wolfgang Spelthahn treibt die Entwicklung seit Jahren voran. Im Forschungszentrum Jülich (FZJ) wird intensiv an neuen Technologien und der Anwendung von Wasserstoff geforscht und gearbeitet. Wie sieht der Vorstandsvorsitzende des FZJ, Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Marquardt, die Entwicklungen im Kreis Düren? Antworten gibt es in diesem Interview.

Der Kreis Düren steht mit dem Ausstieg aus der Braunkohle vor großen Herausforderungen. Tausende Arbeitsplätze fallen weg. Eine ganze Landschaft wird neu gestaltet: Wie sehen Sie den Kreis für den Strukturwandel aufgestellt?

Wolfgang Marquardt: Der Kreis Düren liegt mitten im Rheinischen Revier, viele Menschen hier sind unmittelbar betroffen, aber sie packen an, sie entwickeln Ideen und Lösungen für diese große Transformationsaufgabe. Das finde ich ermutigend. Im Kreis Düren gibt es zahlreiche Unternehmen aller Größen, eine – für einen Landkreis – außergewöhnliche Wissenschaftslandschaft und eine Verwaltung, die gestalten und nicht blockieren will. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg, auch wenn wir insgesamt viel schneller werden müssen. Dafür braucht es den Willen, den Mut und die Kreativität aller, um bürokratische Hemmnisse aus dem Weg zu räumen.

Wichtige Themen im Strukturwandel sind der Klimaschutz und die Energiewende. Landrat Wolfgang Spelthahn setzt seit Jahren einen Schwerpunkt mit dem Thema Wasserstoff. Im Kreis fahren die ersten Wasserstoffbusse, es gibt eine erste Tankstelle, bald folgen die ersten Züge. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Wolfgang Marquardt: Wasserstoff ist ein zentraler Baustein für die Energiewende. Er ist vielseitig, mit ihm lässt sich beispielsweise Energie speichern und transportieren. Für ein Energieimportland wie Deutschland, in dem in Zukunft immer mehr Strom aus volatilen erneuerbaren Quellen kommt, sind das wichtige Eigenschaften. Er gilt auch als der dringend benötigte Baustein, um Elektrizität, Verkehr, Industrie und Wärmeversorgung zu vernetzen und zu optimieren. 

Wasserstoffanwendungen im Verkehrsbereich sind natürlich in besonderer Weise geeignet, den Umstieg auf Wasserstofftechnologien für viele Menschen erlebbar zu machen, weil sie wasserstoffbetriebene Busse und Bahnen aktiv nutzen können. Das finde ich sehr wichtig, denn es schafft Vertrauen vielleicht eines Tages selbst in Wasserstofftechnologien, beispielsweise beim Heizen, zu investieren.

Aus meiner Sicht ist es aber besonders wichtig, dass unsere energieintensive Industrie sich möglichst schnell von Kohle, Öl und Gas löst und auf bezahlbare Wasserstofftechnologien umstellen kann. Denn sonst drohen bei rasch steigenden Preisen für Emissionszertifikate hohe Kosten, die durch die Unternehmen nicht gedeckt werden können. Die dafür nötigen Technologien sind im Wesentlichen da, sie müssen jetzt in großem Maßstab marktgängig gemacht werden. Dazu muss nicht nur die notwendige Infrastruktur schnell aufgebaut werden können. Es bedarf auch verlässlicher regulatorischen Rahmenbedingungen, um die Risiken der Transformation einschätzen zu können.

Das Forschungszentrum ist ebenso intensiv mit dem Thema Wasserstoff beschäftigt. Woran wird aktuell schwerpunktmäßig gearbeitet?

Wolfgang Marquardt: Seit mehreren Jahrzehnten forschen wir zum Thema Wasserstoff und haben diese Forschung in den vergangenen Jahren noch einmal intensiviert. Das Forschungsspektrum reicht dabei von den Grundlagen bis zur Anwendung. Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung von Materialien und effizienten Technologien für die Erzeugung, Umwandlung, Speicherung und Nutzung von Wasserstoff. Die technologische Forschung wird von systemanalytischer Forschung ergänzt, die sich mit den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Aspekten einer tiefgreifenden Transformation des Energiesystems befasst. Deutschland muss sich international eine Spitzenposition bei Wasserstofftechnologien sichern und damit der deutschen Wirtschaft neue Absatzmärkte eröffnen. Dazu leisten wir in Jülich einen Beitrag.

Im September eröffneten Ministerpräsident Hendrik Wüst (Mitte), NRW-Wissenschaftsministerin Ina Brandes (2.v.r.), Judith Pirscher, Staatssekretärin im Bundesforschungsministerium (2.v.l.) gemeinsam mit dem Vorstands-vorsitzenden des Forschungszentrums Jülich, Professor Wolfgang Marquardt (1.v.r.), und Gründungsdirektor Professor Peter Wasserscheid (1.v.l.) das Helmholtz-Cluster für Wasserstoffwirtschaft (HC-H2) auf dem Brainergy-Park in Jülich.

Der Kreis Düren ist auf dem Weg zur Modell-Region Wasserstoff.  Wie können die Bürgerinnen und Bürger davon profitieren? Und wie profitieren Unternehmen davon?

Wolfgang Marquardt: Es besteht zweifelsohne die Gefahr, dass Industrieunternehmen ihre Produktion aus Deutschland weg verlagern. Wissenschaftsbasierte Innovationen können dazu beitragen dies zu vermeiden. Die notwendigen Techniken sind da, um die Wirtschaft nach und nach auf ein nachhaltiges und klimaschonendes Fundament zu stellen. Grüner Storm und innovative Wasserstofftechnologien sind entscheidende Bausteine. Wir stehen jetzt vor der Aufgabe, diese Technologien in verschiedenen Märkten auszurollen, zunächst dort, wo höhere Preise erzielt werden können, dann breit in der Fläche.

Insbesondere bei den energieintensiven Unternehmen, von denen es ja auch zahlreiche im Kreis Düren gibt, werden sich Investitionen in die Umstellung auf Wasserstofftechnologien bei den aktuell hohen Energiepreisen langfristig lohnen. Davon profitieren natürlich auch die Bürgerinnen und Bürger der Region. Ganz abgesehen davon, dass sie ganz unmittelbar vom Einsatz nachhaltiger und sauberer Technologien profitieren.

Inwieweit kann und wird das Forschungszentrum dabei unterstützen?

Wolfgang Marquardt: Wir müssen den engen Schulterschluss zwischen den Unternehmen und der Wissenschaft finden. Denn nur so kommen die innovativen Technologien in den Markt. Diese Region bringt dafür alles Notwenige mit und das bei kurzen Wegen. Eine große Chance, die wir nicht verstreichen lassen wollen.

Wie so etwas gut gelingen kann, zeigt das aus dem Forschungszentrum Jülich heraus gebildete Helmholtz-Wasserstoffcluster. Rund um eines unserer Institute, dass Wasserstofftechnologien von den Grundlagen bis hin zur Anwendung erforscht, bildet sich ein Netzwerk aus vielen Partnern, dass diese neuen Technologien in Demonstratoren im ganzen Rheinischen Revier zur Anwendung bringt. Dabei werden die Erkenntnisse, die aus den Demonstratoren gewonnen werden, direkt wieder in die Wissenschaft zurück gespiegelt. So können wir den Innovationsprozess beschleunigen und neuen Wasserstofftechnologien schneller zur Marktreife verhelfen.

Professor Wolfgang Marquardt.

Noch einmal zurück zu den Menschen im Kreis Düren: Ohne die Bürgerinnen und Bürger kann keine erfolgreiche Transformation stattfinden. Wie kann das am besten gelingen?

Wolfgang Marquardt: Da sind wir alle gefordert, in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft. Uns muss ein echter, ehrlicher Dialog mit den Menschen hier in der Region gelingen. Wir sollten sie dort, wo es möglich ist, aktiv einbinden. Und wir müssen transparent machen, wo es aus guten Gründen nicht geht. An vielen Stellen im Revier wird ja derzeit konzeptionell gearbeitet, etwa wenn es um die Gestaltung der Tagebaunachfolgelandschaften geht. Hier finden zahlreiche Bürgerbeteiligungsformate statt, und das finde ich spannend.

Diese Beteiligung setzt aber auch Begeisterungsfähigkeit bei den Bürgerinnen und Bürgern voraus, denn sie müssen mitmachen wollen. Da bin ich sehr dankbar, denn ich erkenne ein echtes und aufrichtiges Interesse der Region an unserer Arbeit. Auch wenn uns der Zaun manchmal trennt, so erleben wir gerade im Nachbarschaftsdialog oder am Tag der Neugier mit über 20.000 Gästen – um nur zwei Beispiele zu erwähnen – dieses Interesse, ja die Begeisterung. Das ist keine Selbstverständlichkeit! Und wir wissen das zu schätzen.

Für die Menschen in der Region sind auch berufliche Aus- und Weiterbildung von besonderer Bedeutung. Sie sind wesentlich, um die die Menschen hier in der Region zu befähigen, diesen großen Transformationsprozess mitzugehen und ihn nicht nur zu erdulden. Daher spielen Kommunikation sowie Aus- und Weiterbildung in unseren Strukturwandelvorhaben eine ganz besondere Rolle. Wir wollen gerade den jungen Leuten zeigen: Es gibt hier bei uns anspruchsvolle Ausbildungen in Berufen und Branchen, die eine Zukunft haben. Es ist uns wichtig, dass die Menschen erkennen können, hier gibt es für sie eine echte Perspektive.

Abschließende Frage: Nicht wenige Menschen haben eine gewisse Skepsis, wenn sie über den Strukturwandel sprechen. Landrat Wolfgang Spelthahn sagt, der Strukturwandel sei eine Herausforderung, aber vor allem eine große Chance. Wie sehen Sie das?

Wolfgang Marquardt: Der menschengemachte Klimawandel ist da, bringt riesige Herausforderungen mit sich und wird große Kosten verursachen. Insofern sind der Kohleausstieg und der damit verbundene Strukturwandel eine Notwenigkeit. Aber natürlich ist er auch eine Chance, sogar eine riesige. Diese Region bekommt ziemlich viel Geld, um zu zeigen, wie sich Klimaschutz und industrielle Produktion miteinander verbinden lassen. Sie kann sich als Energieregion und Industriestandort neu erfinden. Eine Aufgabe vor der noch viele weitere Regionen in Europa und der Welt stehen. Wir können zeigen, dass es geht und wie es geht. Denn wir bringen die richtigen Voraussetzungen mit. Aber klar ist auch, damit es gelingt, müssen wir offen sein für neue Technologien und innovative Ansätze.

 

Zur Person

Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Marquardt ist seit dem 1. Juli 2014 Vorstandsvorsitzender des Forschungszentrums Jülich, Vize-Präsident der Helmholtz Gemeinschaft und Koordinator des Forschungsbereichs Information. Er studierte Verfahrenstechnik an der Universität Stuttgart. Dort promovierte er 1988 zu nichtlinearen Wellen in Destillationsprozessen und habilitierte 1992 auf dem Gebiet der Prozessdynamik und Prozessführung. 1992 wurde Wolfgang Marquardt an die RWTH Aachen an den neu eingerichteten Lehrstuhl für Prozesstechnik berufen, von dem er seit seinem Wechsel zum Forschungszentrum Jülich beurlaubt ist. Wolfgang Marquardt ist Mitglied verschiedener Wissenschaftsakademien, der Nordrheinwestfälischen Akademie der Wissenschaften und Künste seit 2002, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaft seit 2002, der Leopoldina seit 2014 und der National Academy of Engineering (USA) seit 2020.

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  • Forschungszentrum Jülich
  • FORSCHUNGSZENTRUM JÜLICH/RALF UWE LIMBACH