Vorreiterrolle des Kreises Düren
Seit dem vergangenen Jahr beschäftigt sich eine weitere Forschungseinrichtung im Kreis Düren mit dem Zukunftsthema Wasserstoff: das zum Forschungszentrum Jülich gehörende Helmholtz-Cluster (HC-H2). Sein Sprecher ist Professor Peter Wasserscheid, der an der RWTH Aachen studierte und promovierte. Mit ihm sprach die KreisRund-Redaktion über die Bedeutung von Wasserstoff für den Kreis Düren. Der 52-Jährige ist Träger des Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preises und war mit anderen Wissenschaftlern 2018 für den deutschen Zukunftspreis nominiert. Zudem ist er der Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts Erlangen-Nürnberg, einer Außenstelle des Forschungszentrums Jülich. Wasserscheid ist verheiratet und Vater von drei Töchtern. Er ist der ältere Bruder von Eli Wasserscheid, die als Ermittlerin im Franken-Tatort zu sehen ist.
Welche Bedeutung hat Wasserstoff in den kommenden Jahren national, aber auch international?
Peter Wasserscheid: Wasserstofftechnologien sind im Verbund mit anderen nachhaltigen Energietechnologien der Schlüssel für eine emissionsfreie Energiewirtschaft der Zukunft. Wir werden grünen Wasserstoff und daraus abgeleitete Wasserstoffderivate benötigen, um große Energiemengen speichern und transportieren zu können. Einsatzgebiete für Wasserstofftechnologien ergeben sich beispielsweise für die saisonale Energiespeicherung, für den weltweiten Energiehandel, für die Versorgung der Industrie mit sauberer Energie oder für die Mobilität großer und schwerer Fahrzeuge – um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Es reicht aber nicht aus, Wasserstoff als nationale Technologie zu sehen. Sowohl das Problem des Klimawandels als auch der Erfolg unserer exportorientierten Wirtschaft haben eine starke internationale Komponente. Dabei spielt der Handel mit grünen Energieäquivalenten eine genauso wichtige Rolle wie der Export von Wasserstoff-Spitzentechnologie aus Deutschland in die ganze Welt. Im Zuge der Ukraine-Krise ist die Sorge sehr deutlich zu spüren, die entsteht, wenn man von wenigen Energielieferanten abhängig ist. Regenerative Energiequellen gibt es hier bei uns, sie sind aber auch in vielen anderen Regionen auf der Welt verfügbar. Mithilfe von Wasserstofftechnologien kann die regenerativ gewonnene Energie bedarfsgerecht verteilt und perspektivisch sehr kostengünstig zur Verfügung gestellt werden.
Und welche Bedeutung hat Wasserstoff für den Kreis Düren?
Wasserscheid: Eine sehr große Bedeutung. Der Kreis Düren hat exzellente Voraussetzungen, um beim Thema Wasserstoff die Nase vorne zu haben. Man hat die Wichtigkeit des Themas sehr frühzeitig erkannt und kann dabei an eine lange und erfolgreiche energiewirtschaftliche Tradition anknüpfen. Hier gibt es hervorragende wissenschaftliche Einrichtungen und bestens ausgebildete Fachkräfte. Und nicht zuletzt bieten die für den Strukturwandel bereitgestellten Mittel die Möglichkeit, in diesem Bereich kräftig zu investieren. Dies ermöglicht jetzt den Aufbau des neuen HelmholtzClusters Wasserstoff mit seinen Demonstratoren, aber auch viele andere Aktivitäten rund um Wasserstofftechnologien. Es wird beim Thema Wasserstoff einen Wettbewerb der Regionen in Deutschland geben. Für diesen ist der Kreis Düren bestens gerüstet.
Welchen Beitrag leistet das Helmholtz-Institut im Jülicher Brainergy-Park, um das Zukunftsthema Wasserstoff national und international voranzubringen?
Wasserscheid: Unser Auftrag ist es, Spitzenforschung und Wirtschaftsförderung zum Wohle der Region zu verbinden und dabei die Energiewende mithilfe innovativer Wasserstofftechnologien voranzubringen. Wir denken und handeln mit starkem regionalen Fokus, haben aber dabei das Ziel, mit unseren Ergebnissen und Aktivitäten nationale und internationale Strahlkraft zu entwickeln. Im Rheinischen Revier fallen Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze weg, weil die Braunkohle 2030 als Energiequelle wegfällt. Weil auch der Klimawandel schnell voranschreitet, entwickeln wir Technologien, die so schnell wie möglich funktionieren sollen und für möglichst viele Anwendungen und Regionen der Welt attraktiv sein sollen. Unter anderem, weil sie bestehende Infrastrukturen wie Pipelines, Tanklager und Tankfahrzeuge weiter nutzen und sich dadurch Kosten bei der Technologieumstellung einsparen lassen. Zusammen mit unseren Kooperationspartnern wollen wir möglichst rasch von der Erkenntnis zum Handeln kommen. Es geht darum, den Nachweis zu erbringen, dass Wasserstofftechnologien im täglichen Einsatz robust und profitabel sind. Dabei spielen die Demonstrationsprojekte unseres Helmholtz-Clusters eine entscheidende Rolle. Hier werden neue Technologien in relevanter Größenordnung im realen Einsatz getestet und ein Technologie-Schaufenster geschaffen, das den Markterfolg der entwickelten Produkte sicherstellen soll.
Wie kann insbesondere der Kreis Düren von Ihrer Arbeit profitieren?
Wasserscheid: Wir werden durch unsere Aktivitäten hier vor Ort Arbeitsplätze schaffen. Damit meine ich nicht die aktuell 30 Personen, die heute für die Aufbauorganisation des Wasserstoffclusters arbeiten. Wir wollen wachsen und bis 2025 die Zahl von 400 Beschäftigten erreichen. Unsere Aktivitäten werden die energieintensiven Firmen der Region stärken, aber auch Technologieunternehmen ins Rheinische Revier locken und optimale Bedingungen für Wasserstoff-affine Start-ups schaffen. Wir wollen eine Art Magnet sein, der Unternehmen anzieht, die selbst Wasserstofftechnologien entwickeln oder auf diesem Gebiet investieren wollen. Unsere Demonstrationsprojekte werden zwar im gesamten Rheinischen Revier ausgerollt. Einige davon werden aber mit hoher Wahrscheinlichkeit im Kreis Düren realisiert werden. Ich denke da konkret an nachhaltige Energielösungen für die Papierindustrie oder an Projekte zur energieautarken Landwirtschaft.
Auf Initiative der Kreises Düren wird am Brainergy Park bald grüner Wasserstoff hergestellt. Damit sollen unter anderem Wasserstoffbusse und -züge angetrieben werden. Der Kreis Düren nimmt damit eine absolute Vorreiterrolle in Deutschland ein. Wie bewerten Sie dieses Engagement?
Wasserscheid: Großartig! Hier zeigt sich die eben schon angesprochene Vorreiterrolle des Kreises Düren. Und natürlich macht es den Standort unseres Helmholtz-Clusters am Brainergy Park in Jülich attraktiver, wenn dort Partner, Gäste und interessierte Firmen direkt vor Ort Wasserstoffmobilität erleben können. Damit wir mit der weltweiten Energiewende vorankommen braucht es Deutschland als Vorreiter. Und damit Deutschland diese Rolle überzeugend einnehmen kann, braucht es innerhalb Deutschlands Vorreiter wie den Kreis Düren, wo Ideen mutig umgesetzt werden und Erfolgsbeispiele geschaffen werden, denen andere folgen können.
Der Kreis Düren bindet in seine Wasserstoffstrategie ausdrücklich die Bürgerinnen und Bürger ein. Landrat Wolfgang Spelthahn ist es enorm wichtig, die Menschen mitzunehmen und das Thema Wasserstoff erlebbar und sichtbar zu machen, unter anderem mit einem Informationscenter, einer Wasserstoffmesse und der Verleihung eines Wasserstoffpreises. Wie wichtig ist es aus Ihrer Sicht, ein größeres Bewusstsein für Wasserstoff in der Bevölkerung zu schaffen?
Wasserscheid: Enorm wichtig – ohne die Unterstützung der breiten Bevölkerung kann die Energiewende nicht gelingen. Es ist ein wesentlicher Teil unserer Mission, diese Unterstützung zu schaffen und die Menschen mitzunehmen. Wir müssen die Energiewende in wenigen Dekaden schaffen. „Wir“, das sind nicht die Mitarbeitenden des Helmholtz-Clusters oder des Forschungszentrums Jülich oder der Kreisverwaltung Düren. Wir – das ist die Gesellschaft. Und deswegen möchten wir möglichst vielen Menschen hier, aber auch unseren Gästen aus aller Welt zeigen, dass die Energiewende und innovative Wasserstofftechnologien großartige Chancen bieten. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass wir nur so die globale Erwärmung wirksam bremsen können.
Auf welchen Gebieten kann sich Wasserstoff am schnellsten durchsetzen: im Straßenverkehr mit Autos, Lkw und Bussen, auf dem Wasser, auf der Schiene?
Wasserscheid: Wasserstoff ist überall dort anderen Lösungen überlegen, wo große Energiemengen bedarfsgerecht und zuverlässig über lange Zeiträume zur Verfügung gestellt werden müssen. Deswegen sind im Mobilitätssektor große Fahrzeuge im Dauereinsatz, wie Binnenschiffe, Züge, Landmaschinen oder Fernbusse, für den Betrieb mit Wasserstoff oder Wasserstoffderivaten besonders geeignet. Je nach Verfügbarkeit und dem zukünftigen Preis von grünem Wasserstoff gehe ich aber fest davon aus, dass auch andere Fahrzeugtypen mit Wasserstoffantrieb ausgerüstet werden, um die Mobilitätsbedürfnisse der Nutzer bestmöglich erfüllen zu können. Fahrräder, Rasenmäher oder Motorroller mit Wasserstoff anzutreiben macht dagegen wenig Sinn, weil bei den vergleichsweise kleinen Energiemengen, die dort gebraucht werden, Batteriespeicher einfach praktischer und günstiger sind. Darüber hinaus darf man nicht vergessen, dass es jenseits des Verkehrssektors viele andere wichtige Anwendungen für Wasserstoff gibt. Dies betrifft zum Beispiel Anwendungen in der Chemie- und Stahlindustrie, aber auch intelligente Lösungen zur Strom- und Wärmebereitstellung für Gewerbeparks.
Und wie schnell können Wirtschaft oder private Haushalte zum Beispiel über das Heizen profitieren?
Wasserscheid: Im Gebäudebereich sind Wasserstofftechnologien dort besonders interessant, wo große Mengen an Wärme auf vergleichsweise hohem Temperaturniveau dauerhaft bereitgestellt werden müssen. Deswegen ist es interessanter, einen Produktionsbetrieb, ein Spaßbad oder ein Krankenhaus über Wasserstoff zu beheizen als eine Wasserstoffheizung in ein hervorragend gedämmtes Einfamilienhaus einzubauen. Wir starten gerade mit einem Projekt, in dem wir ein Krankenhaus im Rheinischen Revier über eine Hochtemperatur-Brennstoffzelle mit Energie und Wärme versorgen. Es geht darum, für jeden Einzelfall und Standort die nachhaltigste und günstigste Lösung zu finden. Dabei werden auch Wärmepumpen, Fernwärmenetze und Geothermie-Anwendungen eine große Rolle spielen. Es wird verschiedene Technologien geben, die in Konkurrenz zueinander stehen. Die Antwort wird nicht immer Wasserstoff lauten, aber in einigen Bereichen recht häufig.
Abschließend: Wo sehen Sie das größte Potenzial im Wasserstoff-Kreis Düren in den kommenden Jahren?
Wasserscheid: Auf jeden Fall in der beschriebenen Vorreiterrolle. Wenn die Region zu einem führenden Kompetenzzentrum wird, das innovative Wasserstofftechnologien entwickelt, erprobt, produziert und in die Welt exportiert, dann profitieren sehr viele Menschen davon. Das bringt neue Wirtschaftskraft mit sich, die weit über das hinausgehen kann, was mit der Braunkohle aufgegeben wird.